Wir haben nun drei Tage Zeit, in der Arctic Panorama Lodge den hohen Norden zu erkunden.
Die Arctic Panorama Lodge ist eine kleine Lodge mit 6 Zimmern im Haupthaus und 6 Suiten (größere Zimmer mit Panoramafenster zum Meer) in Nebenhaus. Die Besonderheiten sind die einmalige Lage auf einer abgeschiedenen Insel direkt am Fjord: vor der Lodge das Meer, dahinter, steil aufragend die Berge.
Besonders schön ist das riesige „Wohnzimmer“ mit gigantischem Panoramfenster zum Fjord, direkt davor ein großer langer Esstisch für die Gäste und dann ein sehr geschmackvoll und gemütlich eingerichtetes Wohnzimmer mit Kamin und diversen Sitzecken, das, von Aud liebevoll im Vintage Stil eingerichtet und jetzt gerade weihnachtlich dekoriert, zum Verweilen und Wohlfühlen einlädt.
Die Lodge ist relativ neu (eröffnet 2014): Svein und seine Frau Aud haben sich hier einen Ruhestandstraum verwirklicht: sie wolle die Welt zu sich einladen, sogar die norwegische Königsfamilie soll schon zu den Gästen gezählt haben.
Nach einem kräftigen nordischen Frühstücksbuffett mit Lachs, Ei und frischem Brot geht es um halb zehn zum Schiff.
Heute steht Whale-Watching auf dem Programm und Svein macht klar, wie wichtig es ist, die wenigen hellen Stunden optimal auszunutzen. Im besten Fall ist es hier zur Zeit 4 Stunden hell (zwischen 10 und 14 Uhr), die Sonne ist nicht zu sehen.
Am kleinen Hafen steigen die zwölf Gäste der Lodge in eine kleine aber feine Jacht.
Der Besitzer hat diese alte Jacht wieder komplett aufgemöbelt. Im Salon gibt es schöne Ledersitzecken mit weihnachtlicher Dekoration und man merkt, dass der Besitzer hier auf dem Boot auch wohnt, es ist alles schön heimelig. Für Hartgesottene ist oben ein Flydeck, auf dem man mit hochgerolltem Verdeck direkt nach außen sehen kann.
Über eine Stunde fahren wir durch die herrliche Landschaft des Fjords hinaus aufs offene Meer, um den einen oder anderen Wal zu sehen.
Zu dieser Zeit sollen sie sich hier besonders oft aufhalten, vor allem Orcas und Buckelwale. Mit noch einigen anderen Booten kreisen wir langsam und schauen uns die Augen wund.
Die Wale sind definitiv da. Immer mal wieder blitzt das obere Ende einer Flosse aus dem Wasser, aber bis ich das Handy gezückt habe, ist der Wal meistens schon wieder komplett abgetaucht.
So beschränke ich mich auf Schauen, das tut auch meinen Fingern gut, die ich so weiter in Handschuhe hüllen kann. Viel Tierglück haben wir heute nicht, aber die wunderschöne Natur entschädigt trefflich.
Kurz vor Schluß taucht für den Bruchteil von Sekunden noch einmal der Rücken eines Buckelwals direkt neben unserem Boot auf.
Nach der Rückfahrt in der Dämmerung gibt es ein kleines Mittagessen und wieder spielt uns unser Zeitverständnis einen Streich, wir essen zu Mittag aber es fühlt sich an, wie am späten Abend.
Den Nachmittag verbringen wir dann in der wunderschönen Sauna, die wir heute ganz für uns alleine haben.
Wir testen, wie es ist, sich direkt nach dem Saunagang im Schnee abzukühlen, die ganz mutigen unter uns legen sich sogar einmal komplett hinein.
Besonders schön ist der Abschluß im warmen Jacuzzi mit Blick auf den vollen nordischen Sternenhimmel. Nur der Kopf muß durch eine Mütze geschützt werden.
Eigentlich wollen wir heute zeitig ins Bett aber irgendwie bahnen sich Nordlichter an und diese wollen wir schon gerne sehen. Es beginnt mit großen hellen Schwaden, die sich erst über dem Fjord zeigen und dann bis über die Berge wandern. Auf die Kamera bekomme ich sie nicht und auch für die Augen sind sie eher nur leicht zu sehen. Das interessante bei Nordlichtern ist, dass sie oft auf Fotos von guten Kameras viel spektakulärer Aussehen, vor allem, was die Farbintensität anbelangt, als man es mit bloßem Auge erkennen kann.
Wir schauen eine Weile, es ist okay und gehen dann ins Bett. Dann höre ich direkt vor unserem Fenster Stimmen: eine andere Familie, die ausgemachte Nordlichtjäger sind, postiert sich mit Stativen und Kameras, da muss also noch etwas kommen. So schlüpfen wir im Schlafanzug noch einmal in unsere Thermooveralls und gehen raus – und tatsächlich, nun können wir auch die grünen Schwaden sehen und sogar auf der Kamera einfangen, wo sie noch deutlicher zu sehen sind.
Es ist ein faszinierendes Erlebnis, aber doch nicht so überwältigend, wie es manchmal beschrieben wird – oder wir haben einfach die richtig krassen Nordlichter immer noch nicht gesehen.
Zufrieden damit, dass wir einen Blick erhaschen konnten sind wir aber doch.
Etwas müde von der Nordlichternacht machen wir uns am nächsten Morgen auf zur Huskyschlittenfahrt.
Diesmal sind nur wir fünf unterwegs. Zunächst bringt uns Svein auf seinem kleinen Boot in einer kurzen Überfahrt ans Festland. Heute ist ein besonders kalter Tag, wie haben über minus 20 Grad, aber Svein reüssiert wieder nur im Pullover, ohne Jacke, Mütze, Handschuhe. Wir haben uns dafür umso fester eingepackt, denn aus Erfahrung wissen wir, wie sehr man bei Huskyschlittenfahren frieren kann.
Man merkt Svein den Spaß an, den er hat, als er mit uns durch den Fjord düst. Auf der anderen Seite steht schon ein Auto mit Fahrer, der uns durch eine wunderschöne, frisch verschneite Winterlandschaft in den etwa eine Stunde entfernten Reissa Nationalpark bringt.
Und schon biegen wir ab zur Huskyfarm.
Unser Führer dort, Christian, kommt sogar aus Deutschland und es geht sofort los: wir dürfen die Huskies selbst anspannen: das klingt einfach aber ist es garnicht. Der eine oder andere Hund will zunächst aus seiner Hütte gelockt werden, wie z.B. Phebe und die quirligen Tiere ins Geschirr zu spannen, ohne sie dabei aus der Kontrolle zu verlieren ist für uns Anfänger durchaus anspruchsvoll und kräftezehrend.
Schließlich haben wir unsere Gespanne zusammen. Wir fahren immer zu zweit: einer fährt, der andere sitzt auf dem Schlitten und es gibt regelmässige Wechselmöglichkeiten. Die wichtigste Regel beim Huskyschlittenfahren ist es, genau zu wissen, wo die Bremse ist und den Schlitten niemals loszulassen. Ich bin mit meinem Sohn im Tandem, wir hatten letztes Mal in Finnland viel Spaß mit einem A-Team, das superschnell rannte und auch berghoch keine Hilfe brauchte. Unser heutiges Gespann ist da deutlich behäbiger. Hier brauchen wir wenig Angst zu haben, dass sie uns davon laufen – und jedes Mal, wenn es berghoch geht, werden sie langsamer, drehen demonstrativ die Köpfe zu uns und warten, dass wir mit anschieben.
Nichtsdestotrotz ist die malerische Fahrt durch den verschneiten Winterwald ein einziger Traum und wir gleiten für über eine Stunde friedlich dahin.
Allerdings wird es tatsächlich langsam richtig kalt, alle unsere Schichten nützen nichts. Nachdem ich anfänglich noch Fotos und Videos gemacht habe, bekommen ich langsam Angst, dass meine Finger erfrieren und hole sie definitiv nicht mehr aus den Handschuhen heraus.
Nach einer kurzen Pause am Feuer in der Hütte mit Grillsandwich geht es bergab im Höllentempo zurück. Jetzt, wo es nach Hause geht, drehen die Huskies noch einmal richtig auf.
Es dämmert schon und wir spannen unsere vier Hunde wieder ab. Ein bisschen einfacher geht es jetzt schon und wir haben dann noch etwas Zeit unseren Hunden Aufmerksamkeit zu schenken und die genießen das wahrlich.
Die wunderschöne Schneelandschaft noch im Herzen geht es im Dunkeln zurück und in der Lodge stürzen wir uns erst einmal hungrig auf den Kuchen und Tee, der hier jeden Nachmittag zur Verfügung steht und chillen dann auf den großen Ledersofas im „Wohnzimmer“.
Für heute Abend war eigentlich ein Abend im Lavvu geplant (der typische Hütte der Samis), Svein schlägt jedoch mit unserer großen Zustimmung vor, dass er bei dieser extremen Kälte sein storytelling lieber ins „Wohnzimmer“ verschiebt. Und los geht es: zuerst noch in Sami-Kluft berichtet er uns von den Traditionen und vom Leben der samischen Ureinwohner und mit welchen Herausforderungen diese zu kämpfen haben, auch eine seiner Töchter ist mit einem Sami verheirate, so kennt er sich ganz gut aus.
Svein ist ein guter Geschichtenerzähler, so kommt er von einem Thema zum anderen: Norwegen als Staat, die norwegischen Ölfonds, das Leben im Norden, das von Nachhaltigkeit und möglichst wenig Stress geprägt ist, die nordische Monarchie und die Besuche der Königsfamilie in der Lodge, wie Aud auf der Nachbarinsel aufgewachsen ist und auch noch einmal wie Aud und er die Lodge als Ruhestands-Lebenstraum aufgebaut haben. Wir erfahren auch, daß Svein im früheren Leben Fischer und Polarforscher war…..Und so geht es Stunden, es ist spannend und kann nur durch Aud‘s resolutes Pochen auf die 19 Uhr Dinnerzeit unterbrochen werden. Auf jeden Fall haben wir viel über das Land gelernt und das vor allem bequem im Warmen und nicht im zugigen Lavvu.
Am Abend erstehen wir noch eine Flasche italienischen Rotwein an der Bar. Mit zwei Gläsern und einen Korkenzieher versorgt, dürfen wir diese dann in unserem Zimmer öffnen und dort trinken – sehr schön mit Blick hinaus in die Dunkelheit über den Fjord.
Die Zeit in der Lodge vergeht wie im Flug und leider steht schon unser letzter Tag an. Ursprünglich hatten wir für diesen Tag eine Fahrt mit dem Schneemobil bzw. einen Ausflug zur nördlichsten Brauerei der Welt geplant. Beides fällt aus: für das Schneemobil sind die Pisten nicht freigegeben und die Brauerei hat wegen des vierwöchigen Alkoholausschankverbots für Gäste geschlossen.
Als Alternative bietet uns Svein Schneeschuhe an und wir haben vor, auf den direkt hinter der Lodge liegenden Berg zu kraxeln.
Es gibt keinen vorgegebenen Weg und die unberührte Schneedecke zeigt auch wenig Orientierung. Unser Sohn Lukas übernimmt die Führung und erkundet für uns die Route und spurt gleichzeitig den Weg.
Er beweist durchaus großes Talent für eine solche Aufgabe. Mühsam Schritt für Schritt bahnen wir uns in Serpentinen den Weg nach oben, immer wieder entschädigt durch grandiose Ausblicke über den Fjord, die natürlich mit zunehmender Höhe immer besser werden.
Es ist wirklich ganz schön anstrengend.
Nach zwei Stunden sind wir dann auf einem ersten Bergsattel angekommen, der Blick auf die andere Seite des Fjords ist aber von hier aus noch nicht möglich.
Allerdings wird es jetzt langsam wieder dunkel und wir beschließen, dann doch umzukehren. Denn ohne Tageslicht in unbekanntem Terrain ist dann doch nicht so ideal. Auch der Weg nach unten braucht viel Aufmerksamkeit, die beginnende Dunkelheit schluckt die Sicht und es wird schwerer, Höhen und Tiefen im Raum zu erkennen und abzuschätzen, wie man die Schritte am besten setzt. Die Ausblicke sind jedoch nach wie vor grandios.
Von Svein erfahren wir später, daß es sich hier um die sogenannten „blauen Stunden“ handelt, ein Phänomen während der Polarnacht: es gibt zwar kurz Tageslicht, aber keine Sonne, dadurch sind nur kalten Farben wahrnehmbar: blau, weiß, schwarz, grau und diese sorgen für eine besondere Klarheit und Präzision der Bilder und Umrisse – das können wir im Panoramablick über die Berge und den Fjord ganz klar sehen.
In etwas mehr als einer Stunde laufen und rutschen wir zurück und lassen uns dann ein spätes Mittagessen schmecken. Den Nachmittag lassen wir ausklingen mit sehr guten Massagen – in der Lodge gibt es ausgebildete Physiotherapeuten, die aber auch viele andere Aufgaben wie Fahrer, Kellner usw. erledigen. Dann folgen noch einmal Sauna und Jacuzzi.
Das Abschlußabendessen ist besonders lecker: es gibt frischen Lachs mit Risotto. Die Lodge wird jetzt auch voller, neue Gäste reisen an: aus Deutschland und aus Frankreich und uns wird eigentlich erst jetzt bewußt, welchen Luxus wir hatten, als die Lodge in den vergangenen Tagen nur halb besetzt war.
Mit etwas Wehmut denken wir daran, daß wir uns morgen schon wieder auf den Rückweg nach Tromsø machen müssen.